Über ein Drittel der Jobsuchenden war schon einmal von Diskriminierung im Bewerbungsprozess betroffen, wie eine Umfrage von hokify und karriere.at im August 2023 ergibt. Außerdem wurden vier von zehn Befragten im Bewerbungsgespräch bereits nach unzulässigen Details aus dem Privatleben, beispielsweise der Familienplanung oder der religiösen Zugehörigkeit gefragt. Das zeigt deutlich, dass Diskriminierung im Arbeits- und Bewerbungsalltag immer noch präsent ist. Doch das hat nicht nur negative Auswirkungen für Jobsuchende, denen die Stellensuche erschwert wird, sondern auch für Unternehmen: Bewerbungen werden aussortiert, Kandidat:innen werden nicht zum Bewerbungsgespräch eingeladen oder trotz gleicher Qualifikation nicht berücksichtigt, was den Fachkräftemangel noch zusätzlich verschärft. Es gibt jedoch verschiedene Möglichkeiten, den Bewerbungsprozess inklusiver zu gestalten und Diskriminierung vorzubeugen:
Sensibilisierung und Training
Stellenanzeigen inklusiv gestalten
Anonymisierte Bewerbungsverfahren
Vier-Augen-Prinzip
Strukturierte Interviews
Case Studies
KI bzw. technologische Unterstützung
1. Sensibilisierung und Training
Der erste Schritt, den eigenen Recruitingprozess diskriminierungsfrei zu gestalten ist, die Personalverantwortlichen, aber auch Führungskräfte für das Thema Unconscious Bias und Diskriminierung zu sensibilisieren. Schulungen und Trainings helfen dabei, eigene Vorurteile zu finden und aufzubrechen. Auch sich selbst immer wieder zu hinterfragen (“Warum bekommt diese:r Kandidat:in eine Absage?”) kann dabei helfen, objektiver an die Bewertung von Bewerbungen heranzugehen.
“Unconscious Bias” sind unbewusste Assoziationen, die jeder Mensch hat, um die eigene Wahrnehmung zu kategorisieren und schnell Entscheidungen treffen zu können. Sind diese Assoziationen verzerrt oder spiegeln rassistische, sexistische oder anderswertig diskriminierende Assoziationen wieder, können sich diese zu unbewusster Diskriminierung im Alltag führen und beispielsweise den Recruitingprozess beeinflussen.
2. Stellenanzeigen inklusiv gestalten
Stellenanzeigen sind oft einer der ersten Berührungspunkte in der Candidate Journey und meist die Basis der Entscheidung für oder gegen eine Bewerbung. Dementsprechend müssen Stellenanzeigen so gestaltet werden, dass sich alle Menschen, die für den Job geeignet sind, angesprochen fühlen. Das beginnt schon bei der Stellenbezeichnung: “Informatiker:in” ist weitaus inklusiver und spricht mehr Menschen an als “Informatiker (m/w/d)”. Zusätzlich kann auch die sprachliche Gestaltung eine Rolle spielen: Adjektive, die oft als “typisch männlich” wahrgenommen werden (z.B. kompetitiv, zielstrebig, selbstbewusst etc.) können dazu führen dass weibliche Personen sich nicht mit der Jobbeschreibung identifizieren und umgekehrt. Auch “junge” Adjektive wie “jung, dynamisch und aktiv” können dazu führen, dass ältere Menschen sich nicht für ausgeschriebene Stellen bewerben. Zusätzlich sollten klare Zeichen gesetzt werden, um Klarheit zu schaffen, wie beispielsweise die Inklusion der im Unternehmen gelebten Werte in die Stellenanzeige oder ein klares Bekenntnis zu Vielfalt am Ende der Stellenanzeige:
“Wir stehen für Vielfalt, Offenheit und Toleranz und freuen uns daher auf alle Bewerbungen, unabhängig von Alter, Geschlecht, Nationalität, Herkunft, Religion, Behinderung oder sexueller Orientierung.”
3. Anonymisierte Bewerbungsverfahren
Blindes Recruiting, also das Auswahlverfahren ohne persönliche Daten, ist ebenfalls eine Möglichkeit Diskriminierung vorzubeugen. Indem persönliche Daten, Kontaktinformation und Foto temporär geschwärzt oder im ersten Schritt des Auswahlverfahrens weggelassen werden, können sich Recruiter:innen auf die Fähigkeiten und Qualifikationen der Kandidat:innen konzentrieren und werden nicht durch persönliche Wahrnehmung beeinflusst. Auch wenn trotzdem Rückschlüsse gezogen werden können (Arbeitsorte, mehr Berufserfahrung bei älteren Kandidat:innen etc.), kann so zumindest direkte Diskriminierung aufgrund des Namens, der Herkunft oder des Aussehens vermieden werden.
4. Vier-Augen-Prinzip
Beim Vier-Augen-Prinzip entscheidet nie eine Person darüber, ob eine Bewerbung abgelehnt wird oder nicht, sondern immer mindestens zwei Personen (“Vier Augen”). So können Entscheidungen hinterfragt werden und müssen demnach auf einer klaren Argumentation basieren. Unconscious Bias kann so aufgedeckt und hinterfragt werden. Auch Ansätze wie das kollaborative Recruiting, das Mitarbeiter:innen aus anderen Abteilungen in den Prozess miteinbezieht oder die Zusammenarbeit mit externen Dienstleister:innen können Diskriminierung verhindern.
5. Strukturierte Interviews
Vorstellungsgespräche zu standardisieren und zu strukturieren vermeidet nicht nur Diskriminierung, sondern schafft auch Vergleichbarkeit zwischen den Kandidat:innen. Bei strukturierten Interviews wird ein vorab festgelegter Interviewleitfaden genutzt, der für alle Kandidat:innen derselbe ist. Die Antworten der Kandidat:innen werden dann mit einer Skala (z.B. 1-5) bewertet und können so gut miteinander verglichen werden. Zusätzliche Notizen können die Antworten einzelner Kandidat:innen ergänzen oder besondere Aussagen unterstreichen. Durch die immer gleiche Struktur der Interviews und das standardisierte Bewertungsschema rücken persönliche Aspekte in den Hintergrund. Ist es für das Unternehmen wichtig, Faktoren wie Cultural Fit oder persönliche Sympathie mit einzubeziehen, können diese ebenfalls als Faktoren in die Bewertungsskala mit einfließen.
6. Case Studies
Case Studies oder Probeaufgaben sind eine gute Möglichkeit, die Denk- und Herangehensweise von Kandidat:innen kennenzulernen. Die Kandidat:innen werden gebeten, eine (fiktive) Aufgabenstellung, die den Aufgaben des Joballtags ähnlich ist, zu lösen und ihre Ergebnisse z.B. beim Bewerbungsgespräch zu präsentieren. Der Lösungsansatz der Kandidat:innen wird anschließend bewertet und mit anderen Kandidat:innen verglichen. Zusätzliche Fragen zur Herangehensweise oder auch das Hinterfragen des Lösungsansatzes können zusätzlich zeigen, wie Kandidat:innen sich selbst und ihre Lösungen präsentieren und vertreten.
7. KI bzw. technologische Unterstützung
Die Nutzung von Künstlicher Intelligenz, beziehungsweise von digitaler Recruiting-Software bei der Selektion, kann Unconscious Bias ebenfalls minimieren. Basierend auf den für den Job relevanten Anforderungen evaluiert die KI-Software die besten Kandidat:innen für den Job oder hilft dabei, passende Kandidat:innen z.B. auf Social Media zu finden. Wie immer bei Künstlicher Intelligenz gilt: KI wurde von Menschen trainiert und ist damit nicht komplett objektiv. Trotzdem kann sie dabei helfen, den Recruitingprozess diskriminierungsfreier und fairer zu gestalten.
Fazit
Unconscious Bias und Vorurteile können im Recruitingprozess zu Diskriminierung und Benachteiligung führen. Bewusste Maßnahmen, die Personalverantwortliche für Diskriminierung sensibilisieren und darauf abzielen, Vorurteile und Unconscious Bias aufzudecken, reduzieren die Gefahr für Diskriminierung im Bewerbungsprozess. Auch andere Personen oder Künstliche Intelligenz in den Recruitingprozess zu integrieren und den Prozess durch Case Studies und strukturierte Interviews zu standardisieren kann Chancengleichheit fördern und bietet gleichzeitig gute Möglichkeiten, Kandidat:innen besser kennenzulernen und miteinander zu vergleichen.